Warum Kochbücher nicht totzukriegen sind
Sie sind in fast allen Haushalten zu finden, in den unterschiedlichsten Formaten, Farben und Mengen – Kochbücher. Auch in den Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung erfreuen sie sich gleichbleibend hoher Beliebtheit. Doch warum machen wir uns eigentlich noch die Mühe, Kochrezepte mühsam aus Büchern rauszusuchen, wenn wir genauso gut nach den leckersten Zubereitungsarten für unsere Lieblingsgerichte googeln könnten?
In der Universitätsbibliothek München befindet sich ein altes Kochbuch. Ein sehr altes Kochbuch, denn es lässt sich auf die Zeit um 1350 datieren und sein Titel lautet so präzise wie offen: Das Buch von guter Speise. Wovon aber handelt ein Buch von guter Speise? Wie uns der Verfasser lehrt, geht es offenbar über eine bloße Sammlung oder Aufzählung von Rezepten hinaus und nur nebenbei bemerkt beruht die synonyme Verwendung des Wortes Rezept – sowohl in der Küche als auch in der Apotheke – nicht auf einer Zufälligkeit. In vielen Fällen ist das Kochbuch gar ein regelrechtes Lehrbuch, das neben der Zubereitungsart auch Einblicke in Warenkunde und Küchenpraxis bietet und den Kreis zwischen Ernährungsempfehlung und -Zubereitung schließt. Im Idealfall macht es „den Koch weise“.
In den 1950er Jahre erlebten die Kochbücher eine Hochkonjunktur; gerne auch in Verbindung mit allgemeinen Ratgebern für die Haushaltsführung, welche sich allesamt an die Damenwelt richteten. Dieses Phänomen war dem Anspruch geschuldet, möglichst viele Attribute dessen in sich zu vereinigen, was in den Augen der Gesellschaft die sogenannte perfekte Hausfrau auszeichnete.
Heute, rund 668 Jahre nach dem ältesten deutschen Kochbuch und immerhin 68 Jahre nach 1950, hält das Internet neben einer Fülle anderer Informationen auch zahlreiche Rezepte und Zubereitungsempfehlungen für seine Nutzer bereit, von Ernährungsempfehlungen ganz zu schweigen. Haben Sie sich nun auf der Suche nach Beantwortung der Frage Was koche ich heute? durch Vorschläge wie „Nudelauflauf mit Ketchup“, „Languste Mayonnaise“, „Mikrowellenkäsebrot“ und ähnliche Köstlichkeiten hindurchgescrollt, lassen Sie Ihren Blick ratlos durch die Küche schweifen. Auf diesem Weg bleibt er ein wenig gedankenverloren am Regal hängen, um schließlich auf ein – zugegebenermaßen leicht angestaubtes – Kochbuch zu fallen. Sie nehmen den üppig mit Fotografien der Gerichte verzierten Band aus dem genannten Regal, pusten das eine oder andere Staubkorn vom Buchschnitt und beginnen zu blättern. Kurzerhand entschließen Sie sich zur Zubereitung des Gerichts auf Seite 27 und freuen sich immer wieder darüber, dass das Kochbuch nicht in den Standby-Modus wechselt. An dieser Stelle erlauben wir uns allerdings folgenden Hinweis: Allein die Benutzung eines Kochbuches garantiert nicht das Gelingen. Falls Sie das Gericht also unter ständigem Rühren in den Ausguss geben wollen, werfen sie statt des Tablets lieber Ihr Kochbuch gegen die Wand – das Kochbuch verzeiht es Ihnen! Das ist nur ein Grund, warum das Kochbuch als fest etablierter Bestandteil des Buchmarktes nicht totzukriegen sein wird.
Denn das Kochbuch ist nicht nur duldsam, sondern auch sehr anpassungsfähig. Es nimmt seiner Tradition folgend die aktuellen Debatten über Ernährungsempfehlungen auf oder spezialisiert sich auf Ernährungsempfehlungen bei Unverträglichkeiten, ganz im Sinne der eingangs erwähnten synonymen Verwendung des Wortes „Rezept“.
Vor den Festtagen, insbesondere vor Weihnachten, erlebt das Kochbuch im Buchhandel einen Aufschwung. Egal ob als kleines Bändchen mit Spezialthema, das beispielsweise auf der Suche nach einem ausgefallenen Dessertrezept gekauft wird, als wohlgemeinter Ratgeber für den flügge gewordenen und künftig auf Selbstverköstigung angewiesenen Nachwuchs oder als großformatiges Geschenk in aufwändiger Gestaltung. Alle drei Ausformungen des Kochbuchs finden ihre Abnehmer.
Um der Frage weiter nachzuspüren, warum das Kochbuch auch in der Zukunft nicht totzukriegen sein wird, wollen wir uns auf letztgenannte Gattung konzentrieren: Den großformatigen und durch seinen Bildreichtum ästhetisch ansprechenden Band unterschiedlichsten Inhalts. Hier ist allerdings besondere Vorsicht geboten, denn Sie könnten entführt werden! Zum Beispiel in die Geschmackswelt eines fernen Landes, das Ihnen durch Anekdoten über die dortige Esskultur, die Wirkung Ihnen bis dahin möglicherweise unbekannter Kräuter, Gewürze und Zutaten sowie vermittels vielfarbiger Abbildungen der Gerichte und nicht zuletzt der Menschen sozusagen schmackhaft gemacht wird. Dieser Prozess lässt sich nach Wunsch umkehren, sprich Ihnen steht mittels des entsprechenden Kochbuchs auch der Weg in die Heimat offen, wenn nicht gar zurück in die Tage Ihrer Kindheit.
Abschließend betrachtet wird die Sorge wohlmeinender Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel um das leibliche Wohl der Sprösslinge und der damit verbundene Wunsch, selbigen buchstäblich und nicht digital „etwas mit auf den Weg“ zu geben, nicht aussterben. Ähnliches gilt für die Sehnsucht nach fernen Ländern, die so alt ist wie die Menschheit, und sich – wenn nicht immer im Reisebüro – doch zumindest durch das Blättern im Kochbuch und die Aussicht auf exotische Geschmackserlebnisse etwas stillen lässt. Das Kochbuch ist gewissermaßen die Business-Class Ihrer kulinarischen Reise. Kochbücher werden wohl nicht totzukriegen sein!