Göttlich geschrieben: Die Heldenreise in der Literatur
Philosophie, Mathematik, Astronomie – all diese Errungenschaften der menschlichen Zivilisation haben wir den alten Griechen zu verdanken. Dass diese auch fantasiebegabt waren, wissen wir dank der Überlieferungen zum griechischen Götterreigen. Zeus‘ Affären und die Rachsucht seiner Gattin Hera sind uns aus den dokumentierten Heldenreisen wohlbekannt. Anhand der Leben der Götter exerzierten die alten Griechen die Conditio humana. Anstatt ihre Götter als allmächtig und moralisch überlegen zu imaginieren, waren diese nur allzu menschlich. Diese Menschlichkeit mag dazu beigetragen haben, dass wir bis heute von den Bewohnern des Olymps lesen. Ihre Liebschaften, Eitelkeiten und Streitereien wurden Teil des westlichen Literaturkanons – von der Zeit der Klassik bis heute!
Heldenreise: Am Anfang war das Chaos
In Hesiods „Theogonie“, der weitverbreitetsten altertümlichen Schöpfungsgeschichte, herrschte zum Anbeginn der Zeit Chaos. Aus dieser Unordnung entstand Gaia, die Erdenmutter, aus der Uranos, der Himmel, hervorging. Mit ihm hatte sie eine Reihe an Kindern, darunter das mächtige Geschlecht der Titanen. Einer von ihnen, Kronos, stürzte seinen Vater und aß all seine Kinder, um zu vermeiden, dass ihm das gleiche Schicksal widerfuhr. Durch eine List seiner Mutter jedoch konnte Zeus fliehen. Statt seines Sohnes verspeiste Kronos einen Stein. Diese unachtsame Nahrungszufuhr sollte sich rächen, als Zeus schließlich den Bauch des Vaters aufschlitzte und seinen Brüdern und Schwestern somit zur Flucht verhalf. Ein neues Göttergeschlecht übernahm die Geschicke der Welt. Als Ort ihrer Inthronisierung wählten sie den Berg Olympus. Dieser füllte sich nicht nur mit den Geschwistern von Zeus, sondern auch seinen Kindern, welche er mit und abseits seiner Gattin Hera in die Welt setzte. Als Olympier bekannt, war dies wohl die ursprüngliche dysfunktionale Familie der Menschheitsgeschichte.
Von Helden, Prophezeiungen und Sternenbildern
Nur allzu oft wurden Menschen zum Spielball der Götter, etwa, wenn sie Günstlinge auserwählten, denen sie bei heroischen Taten beistanden. Am bekanntesten ist wohl Herakles, den wir auch als Herkules kennen, Halbgott und Sohn des Zeus. Durch Heras Eifersucht in den Wahnsinn und zum Kindesmord getrieben, zog Herakles zum Orakel von Delphi aus, um eine Prophezeiung zu hören. Diesen zu entkommen war unmöglich, wie schon der Vater des Ödipus erfahren musste. Er ließ seinen Sohn aussetzen, als er vom Orakel erfuhr, dass dieser ihn eines Tages erschlagen und seine eigene Mutter heiraten würde. Das Baby überlebte jedoch. Wie diese Tragödie endet, die Sophokles in „Oedipus Rex“ nachzeichnet, wird niemanden überraschen, der schon einmal von selbsterfüllenden Prophezeiungen gehört hat: Ödipus tötet den Vater und heiratet die Mutter. Als er dies realisiert, verstümmelt er seine Augen und zieht nunmehr als Blinder durch die Welt. Die Geschichte von Herakles jedoch endet nicht auf einer tragischen Note: Nachdem er heldenhaft zwölf schier unlösbare Aufgaben erfüllt, wird er nicht nur am Sternenhimmel verewigt, wie dies bei mehreren griechischen Helden der Fall ist, ihm wird am Ende seines Lebens sogar erlaubt, einen Platz an der Seite seines Vaters am Olymp einzunehmen.
Literarisches Fortleben
Dass uns die griechischen Gottheiten bis heute begleiten, ist nach einem kurzen Blick auf die Spielpläne von Theater- und Opernhäusern schnell ersichtlich: Heinrich von Kleists „Amphytrion“ erzählt komödiantisch von der Zeugung Herakles‘, während wir mit Jacques Offenbach gemeinsam mit Orpheus in die Unterwelt absteigen können. Wer Romane bevorzugt, ist bei Madeline Miller richtig, die sich auf gewiefte Art und Weise der Geschichte von Achilles (2011) und Circe (2018) widmet. Für die junge Leserschaft zu empfehlen ist Rick Riordans „Percy Jackson“-Reihe, wo neue Halbgötter auf allerlei Gefahren und Monster treffen, um sich zu beweisen. Dass die alten Götter mehr als nur verrückt waren, wird in all diesen Werken unter Beweis gestellt.
Schreibübung: Heldenreise
In der vorliegenden Schreibübung geht es um den Plotbau. Erstellen Sie den Handlungsverlauf einer Geschichte, die mit folgendem Satz beginnt und schicken Sie Ihren Protagonisten auf eine epische Heldenreise:
„Eines Tages“, sprach das Orakel zu ihm, „wirst du Herrscher deines Heimatlandes sein. Dafür wirst du jedoch deinen besten Freund verraten.“
Erstellen Sie einen Plot, wo Ihr Held diesem Schicksal entfliehen möchte, der Prophezeiung jedoch nicht entkommen kann.
Wir vom Vindobona Verlag wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Schreiben! Und sollte aus Ihrer Aufwärmübung gleich ein ganzes Buch entstehen, so würden wir uns freuen, wenn Sie uns Ihr Manuskript hier zu einer unverbindlichen Prüfung zukommen lassen.