Wie wirklich ist die Wirklichkeit – in Büchern?
Wie viel Realität verträgt ein Roman? Braucht er überhaupt Realität oder kommt er, als Produkt der Fantasie, doch ohne sie aus? Diese Frage stellten sich schon viele Autoren. Vor allem beim Schreiben beschäftigt Autoren das richtige Maß an Realität. Werden etwa Städte, Straßen oder Schauplätze beschrieben, die auch auf der realen Landkarte existieren, ist ein Realitätscheck sicher sinnvoll. Welche Häuser neigen sich in die Straße, wie sehen die Gartenzäune aus und die Drillingsblumen, die sich um sie ranken? Ist es wirklich wichtig, diese Details wie ein Naturalist wiederzugeben, oder ist es gestattet, von ihr abzuweichen?
Ob es sich bei Abweichungen von der Wirklichkeit um dichterische Freiheit oder um echte Fehler handelt, ist in der Literatur nicht immer klar. So gibt es in der Literaturgeschichte zahlreiche Beispiele für Wirklichkeitsverzerrungen, die durchaus als Fehler interpretiert werden können. In den abenteuerlichen Romanen von Jules Vernes zum Beispiel finden sich zahlreiche, wissenschaftliche Ungenauigkeiten. Fragen physikalischer Natur wirft zum Beispiel die Nautilus, das berühmte U-Boot aus »20.000 Meilen unter dem Meer« auf. Die Luftversorgung von Kapitän Nemos Mannschaft während der Seefahrten bleibt mindestens so rätselhaft wie die hohe Geschwindigkeit, mit der sich das Unterseeboot fortbewegt. Auch eine Reise zum Mittelpunkt der Erde ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht anzuraten. Im Erdkern herrscht eine Temperatur von etwa 6.300 Grad, der ein Mensch nur schwerlich standhalten könnte. Ungenauigkeiten finden sich in Vernes Welten auch in der Beschreibung von Karten, Routen und Naturlandschaften. Dennoch muss man mit dem französischen Schriftsteller nachsichtig sein. Als Visionär war er seiner Zeit weit voraus, der wissenschaftliche Fortschritt war zu Jules Vernes Lebzeiten noch begrenzt. Außerdem tun die Fehler den fantastische Erlebnissen, die uns Verne eröffnet, keinen Abbruch.
Ist es also wirklich notwendig, sich als Autor ganz an die Fakten zu halten oder dürfen Bücher doch bleiben, was sie manchmal auch sind: eine Spielwiese unserer Fantasie?
Wir vom Vindobona Verlag haben alle Pros und Contras für Realität in Büchern zusammengefasst, denn am Ende bleibt die Entscheidung bei Ihnen, dem Autor.
PRO Realität in Büchern
Genre
Nicht bei jedem Genre ist die Frage nach der Faktentreue eine der persönlichen Präferenzen. Bei Non-Fiction zum Beispiel ist der Name Programm: Schreibt man ein Sachbuch, muss man sich akribisch an die Wirklichkeit halten. Anders verhält es sich bei fiktionalen Werken, die ein Produkt der Fantasie sind. Dennoch ist auch hier ein Mindestmaß an Realität angebracht. In Krimis zum Beispiel ist zu viel Fantasie ein echtes Vergehen. Wenn die Ermittlungsarbeit nicht mehr realistisch wirkt und der Fall von Fantasie und Zufall gelöst wird, geht jede Spannung verloren. Welche Kriterien einen gelungenen Krimi auszeichnen, finden Sie auch in diesem Beitrag heraus. Andere Genres, wie etwa Fantasy- oder Science-Fiction-Romane leben von fantastischen Begebenheiten, die sich weit weg von der Realität bewegen. In bestimmten Genres, wie etwa dem Magischen Realismus, zu dessen bekanntesten Vertretern zum Beispiel Salman Rushdie zählt, ist es gerade der Bruch mit der Wirklichkeit, der dem Roman seine Wirkung verleiht.
Erwartungen
Der Titel eines Buchs, dessen Cover oder Buchrückentext wecken immer auch eine bestimmte Erwartung in einem Leser. Ihre Hauptprotagonistin ist eine Imkerin und sowohl Titel als auch Cover spielen sich mit dem Thema »Bienen«? Dann sollten die Vorgänge und Lebenswelten in Ihrem Buch möglichst realistisch abgebildet sein. Leser, die zu einem Buch mit einem bestimmten Schwerpunkt greifen, wollen in der Regel etwas Bestimmtes lernen oder sind mit dem Thema vielleicht sogar schon vertraut. Speziell bei Special Interest Themen sollten Sie die Erwartungen Ihrer Leser nicht enttäuschen und sich um deren etwaige Expertise auch ständig bewusst sein.
Kompetenz
Manche Autoren werden bei ihrem Publikum gerade für ihre Recherchefähigkeiten geschätzt. Ken Folletts Historienromane zum Beispiel sind berühmt für ihre historische Genauigkeit. Leser erleben eine regelrechte Zeitreise, wenn sie Ideen britischen Schriftsteller in seinen Büchern in längst vergangene Epochen begleiten. Auch John Vermeulen wird für seine Präzision sehr geschätzt, die das Publikum in die Lebenswelten von Leonardo Da Vinci und Co. entführen. Realitätsnähe und Recherchequalität können also durchaus Alleinstellungsmerkmale sein, die Ihre Bücher von anderen abhebt.
Nachvollziehbarkeit
Nicht umsonst legen Lektoren bei ihrer Arbeit ein besonderes Augenmerk auf die Logik und Stringenz eines Romans. Logikfehler werden vom Publikum nur schwer verziehen, und vergraulen die Leser auf lange Sicht. Ist ein Roman nicht logisch, so sinken sowohl sein Informations- als auch sein Unterhaltungspotential. Selbst einem Fantasyroman sind kreative Grenzen gesetzt. Wenn Sie zum Beispiel einen Fantasyroman schreiben, der im Mittelalter verortet ist, so sollten Ihre Protagonisten nicht plötzlich mit einem Smartphone kommunizieren oder die Heldenreise mit Google Maps bewältigen. Fantasie ist etwas Wunderschönes, doch der Grat zwischen Abenteuer und Absurdität ist schmal.
CONTRA Realität in Büchern
Wirkung
Manchmal vollziehen Autoren den Bruch mit der Realität ganz bewusst, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Das Genre des Magischen Realismus zum Beispiel lebt von diesen bewussten Widersprüchen. In den Werken von Haruki Murakami zum Beispiel begegnen wir permanent ungewöhnlichen Begebenheiten. Katzen sprechen, Menschen verschwinden und tauchen in tiefen Brunnen wieder auf oder das Verhalten von Charakteren verzerrt sich bis ins Unfassbare. Liest man ein Buch von Murakami, ist man vor allem eines: irritiert. Doch gerade dieser Effekt ist es, weswegen Leser ganz bewusst zu einem Buch des japanischen Autors greifen. Zu viel Realität wäre für Fans des Autoren eine große Enttäuschung.
Spannung
Wir flüchten uns in Bücher, weil wir der Realität entfliehen wollen. Das Leben ist echt genug, es wäre langweilig, es in Büchern in seiner Reinform zu wiederholen. Die Fiktion ist sowohl für den Autor als auch für den Leser ein Ausbruch aus dem Altbekannten, der Spannung, Aufregung und Ekstase verspricht. Ein Buch, das die Realität imitiert, ist sinnlos. Ein Mindestmaß am Fantasie ist also immer angebracht.
Kreativität
Bis zu einem gewissen Grad müssen Leser die Entscheidung des Autors, sich auf Abwege der Realität zu begeben, respektieren. Der Künstler genießt dichterische Freiheit, und es obliegt ihm alleine, die Handlung seines Buchs zu bestimmen. Gestatten Sie sich also Grauzonen und gestalten Sie das Buch nach Ihrer Vorstellung, sonst verlieren Sie womöglich noch den Spaß an der Sache.
Persönlichkeit
Ein Buch ist eine sehr persönliche Angelegenheit, schließlich spiegelt es Ihre Sicht auf die Welt wieder. Solange Sie kein Sachbuch schreiben, ist es nicht Ihre Aufgabe, die Welt in objektiver Klarheit abzubilden. Letztlich unterscheidet uns Menschen das auch von einer Maschine. Es ist unser persönlicher Blick auf die Dinge, die einem Buch seine individuelle Prägung und Stil verleihen. Wenn die Sonne in Ihren Augen aussieht wie eine Perle in ihrer Muschel, dann sieht sie auch so aus. Wir beschreiben Dinge nicht immer so, wie sie sind, sondern so, wie wir sie wahrnehmen.
Für mehr Realität in Büchern sprechen mindestens so viele Gründe wie gegen sie. Am Ende bleibt die Entscheidung, wie viel Fantasie Sie sich beim Schreiben gestatten, bei Ihnen. Sie haben Ihr Produkt der Fantasie schon aufs Papier gebracht? Wir vom Vindobona Verlag suchen noch nach neuen Autoren. Erfahren Sie hier mehr über die Möglichkeiten, Autor in unserem Verlag zur werden.