Klischee!
Manchmal will man beim Schreiben mit dem Kopf durch die Wand. Wort für Wort muss man sich aus den Fingern saugen. Schon glaubt man, nichts geht mehr, da kommt doch noch der Silberstreifen am Horizont und es fällt einem wie Schuppen von den Augen: Die Zeit ist reif. Endlich können wir uns alles von der Seele schreiben.
Die Einleitung dieses Beitrags liest sich langweilig? Das liegt daran, dass sie nur aus Klischees besteht. Vier Sätze lang wurde etwas erzählt und doch wurde nichts erzählt. Zwar wurde etwas gesagt, doch nichts ausgesagt. In Geschichten wirken Klischees wie abgenutzte Sprachbausteine. Sie bringen die Handlung weder stilistisch noch inhaltlich voran. Und doch ertappen wir uns immer wieder dabei, wie wir von „bitteren Tränen“, „schweren Herzen“ und „sich verdrehenden Augen“ schreiben. In der Alltagssprache greifen wir nur zu gern auf Sprachklischees zurück. Schließlich und endlich muss nicht jeder unserer Dialoge ein Kunstwerk aus Worten sein. Beim Schreiben allerdings sollten wir abgewetzte Metaphern und Phrasen vermeiden. Denn sie langweilen nicht nur uns selbst, sondern auch unser Publikum. Zwar gibt es durchaus Autorinnen und Autoren, die ihre Bücher bewusst an Leserinnen und Leser, die das Erwartete dem Unerwarteten vorziehen, adressieren. In manchen Genres, wie Erotikromanen oder Kurzkrimis, ist die ewige Wiederkehr sprachlicher Elemente sogar gewollt. Will man sich aber von anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern abheben und außerdem seinen eigenen Stil entwickeln, sollte man Sprachklischees vermeiden.
Nicht zu verwechseln sind Sprachklischees mit Strukturklischees, mit Stereotypen, die die Substanz einer Geschichte bilden. Hier darf durchaus mit dem „Heros in tausend Gestalten“ gespielt werden, wie Publizist Joseph Campbell jene Heldenreise bezeichnete, der wir in Kunst- und Kulturindustrie chronisch begegnen. Geschichten vom „Phönix aus der Asche“ oder vom „Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt“ wurden in Variationen schon tausende und abertausende Male erzählt, doch wir lesen sie immer wieder, weil uns ihre Struktur vertraut ist und wir uns in ihnen zu Hause fühlen. Anders verhält es sich mit Sprachklischees. Phrasen und Plattitüden können Sie getrost ausmustern. Wie das Sprachrecycling zum Klischees vermeiden gelingt, verraten wir vom Vindobona Verlag mit den fünf folgenden Tipps:
Klischees vermeiden: 5 Tipps zum Sprachrecycling
1. Selbstbeobachtung
Im Leben wie auf dem Papier gilt: Hinterfragen Sie sich permanent, sooft es geht, und wenn Sie glauben, es war schon genug, fragen Sie nocheinmal. Wenn Sie sich dabei ertappen, wie Sie beim Schreiben auf eine Sprachschablone zurückgreifen, halten Sie kurz inne und stellen Sie sich die folgenden Fragen: „Was wollte ich sagen?“, „Was will ich ausdrücken“, „Was will ich meinem Publikum zeigen?“ In der Praxis könnte das zum Beispiel so aussehen: Ihrem Protagonisten oder Ihrer Protagonistin „reicht das Wasser bis zum Hals“? Das können Sie besser! Überlegen Sie genau, was Sie sagen wollten. Warum reicht der Figur das Wasser bis zum Hals? Wodurch fühlt sie sich unter Druck gesetzt? Welches Gefühl macht sich breit, das Sie beschreiben wollen? Je nach Geschichte könnte Ihr Satz, befreit von Klischees, zum Beispiel so aussehen: „Die Abgabe rückte näher. Die Uhrzeiger mahnten sie. Sie wollte all das ausblenden, doch Raum und Zeit krümmten sich unter dem Gewicht, das auf ihr lastete. Der Druck wurde immens, breitete sich aus, beanspruchte alles in ihr, Organe, Gedanken, Geist. Nichts anderes hatte mehr Platz in ihr als diese Aufgabe. Doch die Zeit schritt voran, ohne Erbarmen und sie spürte, wie sie anfing, sich von innen nach außen aufzulösen.“ Welche Version gefällt Ihnen besser?
2. Fremdbeobachtung
Beobachten Sie oder lassen Sie sich beobachten. Variante Eins setzen Sie um, indem Sie bewusst ein schlechtes Buch lesen. Greifen Sie absichtlich zu Schundliteratur und streichen Sie alle Klischees an, die Ihnen auffallen. Versuchen Sie nun die Klischees durch originellere Konstruktionen zu ersetzen. Diese Übung schult nicht nur Ihren Blick für schwache Sätze, sondern stärkt auch Ihre eigenen. Wenn Sie den Text vor lauter Buchstaben nicht mehr sehen, empfiehlt sich die zweite Variante. Suchen Sie nach kompetenten Testleserinnen oder Testlesern, die Ihren Text auf der Suche nach Phrasen und Klischees durchstreifen und freuen Sie sich jedes Mal, wenn diese etwas finden. Ihr Buch kann dadurch nur besser werden.
3. Übertreibung
Eine spannende und durchaus unterhaltsame Schreibübung, um das eigene Bewusstsein für Klischees zu schulen, ist es, einen Text zu schreiben und ihn mit Klischees zu überfrachten. Beschreiben Sie dafür eine kurze Begebenheit oder Beobachtung aus Ihrem Alltag auf einer Seite. Versuchen Sie nun für jeden Satz eine schwache Phrase aus der Alltagssprache zu finden. Schreiben Sie von „flatternden Herzen“, von „treuen Seelen“, von „eisernen Willen“ und „zwitschernden Vögeln“, kurzum, schreiben Sie einen schlechten Text. Lesen Sie den Text nach Fertigstellung und erlauben Sie sich ruhig, zu lachen. Etwas Langweiligeres werden Sie nie gelesen haben, so viel sei versprochen. Sie haben Gefallen gefunden an unserer Schreibübung? In diesem Beitrag finden Sie fünf Schreibübungen, mit denen Sie Ihre Kreativität neu entfachen!
4. Zufallsbegegnung
Im Leben ist nichts zufällig? Dann sollte es in Ihrer Geschichte auch nicht sein. Der Zufall ist ein Klischee, der Ihren Text nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich schwächt. Zufall gilt als der Kardinalfehler unter den Geschichtenerzählerinnen und -erzählern. „Wie durch Zufall“ passiert etwas nur in einem schlechten Plot. Was in der Fachsprache auch als „Lazy Storytelling“ bezeichnet wird, sollten Sie als versierte Schriftstellerin oder als versierter Schriftsteller unbedingt vermeiden. Machen Sie sich die Mühe, Ihre Geschichte sorgsam aufzubauen. Überlegen Sie sich, wie es zu einer Situation kommt und ob es überhaupt zu ihr kommen kann. Diesen gedanklichen Schritt müssen Sie vor Ihrem Publikum nicht immer offenlegen, er dient lediglich der Verbesserung Ihres Plots und Stils.
5. Show, don’t tell!
Klischees vermeiden gelingt auch mit dem altbewährten, von Stephen King geprägtem Credo: „Show, don’t tell“. Erzählen Sie nicht, sondern zeigen Sie. Verlassen Sie die Ebene des passiven Beschreibens und setzen Sie Ihre Storyline aktiv in Szene. Machen Sie aus der „streunenden Katze“ eine, die „unter den alten, verbeulten VW Bus des Nachbarn huscht“. Verwandeln Sie die im „Wind wehenden Zweige“ in „knorrige, Finger, die nach einem greifen wollen“. „Es war ein schöner Tag im Mai“ ist gut, aber „der erste Tag im Mai, an dem die überprallen Kirschblüten aufplatzten wie Popcorn“ ist besser. Verfolgen Sie diese Strategie und die Sache mit den Klischees hat sich erledigt.
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