Der Feind in meinem Buch
Was haben Iago, Inspektor Javert und Lord Voldemort gemeinsam? Hass und Liebe ihres Publikums, den Lesern vorzüglicher Bücher. Bei allen Figuren handelt es sich um sogenannte Antagonisten, den Gegenspielern der Protagonisten in einem Roman. Antagonisten schreiben ist eine hohe Kunst. Sind sie gut geschrieben, entwickelt und eingesetzt, so ernten sie nicht nur die Missgunst des Publikums. Ein spannender Antagonist hat mehrere Facetten, er zeichnet sich durch Vielschichtigkeit aus und ist mehr als das personifizierte Böse. Genau das macht ihn auch so spannend, denn wie im echten Leben interessiert uns nur das Vielseitige.
Ein Antagonist, der ausschließlich schlecht, böse und durchtrieben ist, liest sich langweilig. Denn mit den Protagonisten eines Romans hat er gemeinsam, dass er vielschichtig sein muss. Mehrdimensionalität ist das Qualitätsmerkmal einer ausgezeichneten Figur. Die Regeln, die für die Protagonisten unserer Handlung gelten, müssen also auch für die Antagonisten verbindlich sein, um unser Publikum zu halten.
Von Inspektor Javert bis Lord Voldemort: Die besten Beispiele für Antagonisten
Jene Antagonisten, die in die Annalen der Bösewichte eingegangen sind, faszinieren und stoßen uns ab zugleich. Inspektor Javert zum Beispiel, jener Gesetzestreuer, der Jean Valjean, die Hauptfigur in Victor Hugos Roman »Die Elenden«, unerbittlich jagt, ist eine Figur, die an Komplexität kaum zu überbieten ist. Die Charakterentwicklung, die der Inspektor durchläuft, ist auch für den Leser ein ungemeiner Lernprozess. Denn vor allem am Anfang ist es einfach, Javert zu hassen, der Jean Valjeans Aussicht auf ein Leben in Stille und Frieden ständig vereitelt. Gleichzeitig wirken sein Intellekt, sein Kombinationsgeschick und sein Gerechtigkeitssinn auch anziehend. Vor allem die Momente der Menschlichkeit und des Mitgefühls aber, die der Gesetzeshüter auch an sich zeigt, stellen den voreingenommenen Leser vor eine Herausforderung: Mit fortschreitender Handlung wird es immer schwieriger, Javert zu verabscheuen. Und selbst der treueste Freund von Jean Valjean muss einsehen: Das Leben ist nicht nur Schwarz oder Weiß.
Ähnliche Lernprozesse erleben wir auch an anderen, bekannten Antagonisten. Jaime Lennister zum Beispiel, der Intrigenspinner aus dem Fantasymeisterwerk »Das Lied von Eis und Feuer«, zeichnet sich nicht nur durch Verschlagenheit, sondern auch durch Humor, Charme und die Fähigkeit, ausgewählte Charaktere zu lieben, aus. Die Herzensbrecherin Estella Havisham, die in Charles Dickens »Großen Erwartungen« Hochherzigkeit und Kälte verkörpert, hat eine komplexe Vergangenheit, die an unser Mitgefühl rührt und es schwer macht, sie zu verurteilen. Und auch andere Antagonisten, wie etwa Lord Voldemort, Sie-wissen-schon-wer, aus »Harry Potter«, weisen eine Vergangenheit auf, die uns verstehen und selbst für die fiesesten Figuren mildernde Umstände gelten lässt.
Die Liste ließe sich noch ewig fortführen, doch eines zeigt sie schon jetzt: Antagonisten schreiben ist mindestens an so hohe Standards angelehnt wie die Entwicklung von Protagonisten. Gut geschrieben, binden die Bösen das Publikum so sehr an das Buch wie die Guten. Fünf Tipps, wie Sie Antagonisten schreiben, die nicht nur schwarz oder weiß sind, verraten wir vom Vindobona Verlag Ihnen in diesem Beitrag.
Antagonisten schreiben: Fünf Tipps für erschreckend gute Figuren
Die Motivation entfachen
Wie beim Protagonisten eines Buchs muss zu jedem Zeitpunkt logisch sein, was den Antagonisten antreibt. Inspektor Javert zum Beispiel kann nicht von Jean Valjean ablassen, weil es seine stärksten Prinzipien verraten würde. Iago, der Bösewicht aus Shakespeares »Othello«, wird von seiner Rachsucht angetrieben. Andere wieder, wie Lord Voldemort oder Sauron, wollen die Weltherrschaft an sich reißen und es ist nicht weniger als der Wille zur Macht, der sie zum Handeln zwingt. Ein Gegenspieler ohne klares Motiv ist nicht logisch und langweilt Ihre Leser sehr schnell. Überlegen Sie sich also vor dem Schreiben ganz genau, was Antrieb und Motor Ihres Antagonisten sein könnte.
Die dunkle Vergangenheit beleuchten
Das Dunkle, das Abgründige und Abseitige fasziniert den Menschen schon immer. Fast noch mehr als beim Protagonisten wollen wir die Motive und Beweggründe des Antagonisten verstehen. Die Psychologie der Täter ist der Grund dafür, warum Filmbiografien über Gräueltäter wie Jeffrey Dahmer oder Charles Manson so hohe Quoten verzeichnen. Als ausgezeichneter Schriftsteller ist es Ihre Aufgabe, die Vergangenheit Ihres Antagonisten aufzudecken. Enthüllen Sie, warum Ihre Figur so ist, wie sie ist – das verleiht Ihrem Übeltäter mehr Authentizität.
Fehler machen
Ein Frevler, dem alles gelingt, ist nicht nur für den Protagonisten frustrierend. Auch Ihre Leser werden Sie mit einem makellosen Monster nicht für sich gewinnen können. Statten Sie Ihren Antagonisten also mit Fehlern aus, denn Fehler sind menschlich und verleihen Ihrer Figur mehr Vielschichtigkeit und Echtheit. Außerdem brauchen Sie Fehler, die dem Antagonisten zum Verhängnis werden können. Andernfalls müsste sich der Antagonist als unbesiegbar entpuppen, was wahrscheinlich nicht im Sinne Ihrer Handlung sein wird.
Charakterentwicklung zulassen
Das Beispiel von Inspektor Javert zeigt, dass Bösewichte, die eine Persönlichkeitsentwicklung erfahren, besonders bereichernd sind für ein Buch. Nicht nur wecken sie die Sympathien des Publikums, sondern sie versprechen auch noch einen Lerneffekt, der der gesellschaftlichen Verantwortung eines Autors gerecht wird. Ein weiteres Beispiel ist der Griesgram Ebenezer Scrooge, dem die Geister der Weihnacht in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte eine gehörige Lektion erteilen. Der Mehrwert der Geschichte ist vor allem im pädagogischen Kontext unverkennbar.
Würdig abtreten
Wenn es Ihnen gelungen ist, einen brillanten Antagonisten zu erschaffen, wird Ihnen dieser Teil des Prozesses am schwersten fallen: Verschaffen Sie Ihrem Antagonisten einen würdigen Abgang. Nicht nur ist dieser Schritt notwendig, um Ihre Geschichte zu einem guten Ende zu bringen, sondern Sie erhalten auch noch einmal die Chance, echte Emotionen in Ihren Lesern zu wecken. Der Austritt des Antagonisten aus der Handlung muss sowohl angemessen als auch nachzuvollziehen sein. Denken Sie hier in großen Dimensionen und sparen Sie nicht an Ideen. Auch die Kulisse, vor der Ihr Antagonist abtritt, sollte ihm angemessen sein. Auf keinen Fall darf das Ende Ihres Antagonisten beliebig sein, Sie bringen Ihre Leser sonst um ein Erlebnis, dem diese mit Sicherheit schon entgegenfiebern. Man stelle sich nur vor, Lord Voldemort wäre im Berufsverkehr der Muggel ums Leben gekommen und damit wäre das Problem gelöst gewesen. Das ist nicht ganz, was Ihre Leser erwarten. Scheuen Sie nicht das Spektakel und schreiben Sie ein Ende, das beeindruckt. So wird es auch Ihnen selbst leichter fallen, die Figur, in die sie so viel Energie und Gedanken gesteckt haben haben, loszulassen.
Praktische Tipps für ein gelungenes Ende für Ihren Roman finden Sie auch in diesem Beitrag!
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