Krieg und Frieden: Literatur der Umbrüche

Manch einer mag beim Stichwort „Kriegsliteratur“ mit Schrecken an den Lateinunterricht und Caesars „De bello Gallico“ denken. Nicht erst seit Lew Tolstois Monumentalroman wissen wir allerdings, dass sich Kriegszeiten als Rahmenhandlung eignen, um das Schicksal einer Nation und exemplarisch anhand der Figuren die Folgen für die Bevölkerung zu verhandeln. Die Schlachtfelder bilden die Hintergrundkulisse, vor der sich gesellschaftliche Fragestellungen und persönliche Schicksale entfalten. Während sich historische Romane seit jeher gerne den Umbrüchen widmen, die mit kriegerischen Handlungen einhergehen, wurde diese Form der literarischen Auseinandersetzung mit dem Einsetzen des Ersten Weltkriegs in die Gegenwart geholt. Dabei beschrieben Schriftsteller nicht nur die Situation an den Schlachtschauplätzen, sondern auch, wie die Zurückgelassenen in der Heimat ihren Alltag bestritten.
Der große amerikanische Dichter Walt Whitman postulierte, dass das wahre Gesicht des Krieges niemals in Literatur dargestellt werden könne. So überrascht es auch nicht, dass Kriegsliteratur durch das Stilmittel der Fragmentierung dominiert wird, galt es doch, das Unbeschreibliche in Wörter zu fassen – Erfahrungen von solch einer Intensität, dass die Wörter oft versagten.

Dass Kriegsliteratur hauptsächlich Domäne männlicher Autoren sein soll, ist ein Klischee. Man denke etwa nur an Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“ oder Margaret Mitchells Historienschinken „Vom Winde verweht“, der auch auf der Leinwand großen Erfolg feierte. Weitere gängige Vorurteile über Schriftsteller finden Sie in diesem Artikel. Selten nur wird Krieg von Autoren glorifiziert. Vielmehr arbeiteten sich rückkehrende Schriftsteller an dessen Sinnlosigkeit ab. Romane berichteten von der schieren Materialschlacht und dem unnötigen Sterben von Millionen junger Männer an der Front. Dass Krieg kaum eine Veränderung zum Guten bedeutet, beweist der wohl bekannteste Antikriegsroman Europas, Erich Maria Remarques „Im Westen nicht Neues“. Posttraumatische Belastungsstörungen werden in Antikriegsliteratur ebenso thematisiert wie die Entfremdung, mit der die Rückkehrer zu kämpfen hatten.
Stand beim Ersten Weltkrieg Westeuropa im Mittelpunkt der literarischen Auseinandersetzung, so wurde mit dem Zweiten Weltkrieg die Fülle der Schauplätze um Asien und den Pazifischen Ozean erweitert. Thematisch wurde der Widerstand gegen die Nationalsozialisten ebenso abgehandelt wie der Horror der Konzentrationslager. Die sogenannte Literatur der Shoah beinhaltet Erfahrungsberichte von ehemaligen KZ-Gefangenen. Viele davon, darunter die Weltliteraten Jean Améry und Primo Levi, wählten, nachdem sie ihre Erfahrungen literarisch verarbeitet hatten, den Freitod. Andere wie Ruth Klüger und Imre Kertész wurden mit hohen literarischen Weihen bedacht. Geeint werden sie durch eine Literatur, die das Ausdrucksmittel Sprache an sich infrage stellt – waren es doch die Nazis, die das Deutsche als Literatursprache nachhaltig beschädigt haben. Interessierten sei auch Viktor Klemperers „LTI“ („Lingua Tertii Imperii“, „Sprache des Dritten Reichs“) ans Herz gelegt.

Wenig überraschend ist, dass die Autoren, die von der Front heimkehrten, eine Neuausrichtung der Literatur forderten. Ein Bruch mit den Poetisierungen der (Post-)Romantiker der Vorkriegszeit setzte ein. Der Stil, den Heinrich Böll, Wolfgang Borchert und Günter Eich, allesamt Vertreter der deutschen Trümmerliteratur, verwendeten, orientierte sich an amerikanischen Vorbildern wie Ernest Hemingway und William Faulkner. Ihre Sprache, gekennzeichnet von Sparsamkeit, sollte ohne unnötige Verzierungen und Ausschmückung auskommen. Das Deutsche, von den Nazis befleckt, wurde neu gedacht. Ein lakonischer Ausdruck, der beschreibt, aber nicht bewertet, rückte in den Vordergrund. Inhaltlich beschäftigten sich die Nachkriegsautoren mit der Isolation des Einzelnen, der – völlig desillusioniert – in eine Welt geworfen wurde, in der er sich nicht länger zurechtfand.

Nicht zurechtgefunden im Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus hatten sich die vielen Autoren, die den Weg ins Exil wählten – freiwillig oder weil ihnen keine andere Wahl blieb. Vereint waren sie in ihrer Gegnerschaft zum herrschenden Regime.
Thomas Mann schaffte es ohne erkennbare Schwierigkeiten, ein neues Leben in Amerika zu beginnen, während sein Sohn Klaus an der Exilerfahrung zu Grunde ging. Er beging ebenso Selbstmord wie Stefan Zweig, der seinem verloren gegangenen Europa in „Sternstunden der Menschheit“ aus dem Exil in Brasilien ein Denkmal setzte. Leider ist der Krieg aktuell wieder in aller Munde. Sonia Campbell-Gilles‘ „Ukraine – In the Time of War”, das ein Kind ins Zentrum der Kriegswirren setzt, sei all unseren Lesern wärmstens empfohlen – in der leisen Hoffnung, dass wir Kriegsliteratur bald wieder als historisches Phänomen betrachten dürfen.
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