Die schönste Sprache der Welt?
„Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, hielt die lesbische Sprachkünstlerin Gertrude Stein fest, zu jener Zeit, als sie mit Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald die Straßen von Paris unsicher machte. In ihrer Festschreibung gibt es wenig Spielraum für Interpretation – sie nennt das Ding, nein, die Blume, beim Namen. Ganz so deterministisch war Shakespeare nicht, als er Romeo die folgenden, unsterblichen Zeilen in den Mund legte: „Das, was wir eine Rose nennen, würde bei jedem anderen Namen genauso süß duften.“ Die Bedeutungsgewalt von Blumen, so wusste es schon der englische Volksdichter, reicht weit über deren Namen hinaus.
Formgebende Strahlkraft
Bereits die alten Ägypter waren sich der symbolischen Wirkungsmacht von Blumen bewusst: In Form von Hieroglyphen hielten Pflanzen Einzug in die Schriftsprache. Eine Palmrispe etwa stand für Jugend. Auch die Griechen der Antike verwendeten solche Schriftbilder abseits des Alphabets. Die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter wurde mit Mohn und Weizenähren dargestellt, sodass sie auch für jene in der Bevölkerung klar erkennbar war, die nicht lesen konnten. Pflanzen wurden zu den Sinnbildern einzelner Gottheiten, wie etwa die Hyazinthe für Apollo, handelte es sich doch um den zur Blume gewordenen Jüngling Hyakinthos, mit dem der Sonnengott in Liebe verbunden war. Zur Zeit der Song-Dynastie (960- 1279 n. Chr.) entstand in China ein komplexes Netzwerk an floraler Symbolik, dem sich vor allem Frauen bedienten: Pfingstrosen wurden als Ausdruck eines erfüllten Liebeslebens gedeutet, während die Lotusblüte als Zeichen für Unschuld und Vollkommenheit gelesen wurde.
Von Umtrieben im Harem zu viktorianischem Bedeutungsgewühl
Das Leben als Sultan muss schon beschwerlich gewesen sein: Wie, oh wie, sollte man den Überblick über die Befindlichkeiten jeder einzelnen Haremsdame behalten? „Selbst ist die Frau“, dachten sich scheinbar diese und entwickelten ein gewieftes System an Bedeutungen, die den zur Schau gestellten Blumen anhafteten: Sehnsucht, Enttäuschung und Eifersucht sind nur manche der Emotionen, die so vermittelt werden konnten. Nicht nur wurde den einzelnen Blumen Bedeutung zugesprochen, auch deren Farbgebung und Anordnung spielten eine Rolle. Fasziniert von diesem Schauspiel berichtete die englische Aristokratin Lady Mary Wortley Montagu in ihren „Briefen aus Istanbul“ von der orientalischen Blumensprache, die fortan als Selam Bekanntheit erlangte. Im zugeknöpften England wurde dieser Import als nonverbale Kommunikationsgabe dankend aufgenommen. Die prüden Inselbewohner entwickelten die Codes weiter, indem etwa die Anzahl der Blüten, deren Alter und die Art und Weise, wie diese gebunden waren, mit Bedeutungen versehen wurden. Zu Zeiten von Queen Viktoria war es Brauch, dass Männer ihrer Begleitung Ansteckblumen überreichten, bevor man sich gemeinsam zum Ballbesuch aufmachte. Trug die Empfängerin diese nah am Herz, posaunte sie ihre Liebe quasi in die Welt hinaus. Enttäuscht wurden jene Tänzer, deren Partnerin den Ansteckstrauß in den Haaren verschwinden ließ. So befestigt wurde er zu einem subtilen, jedoch bestimmten Ausdruck der Ablehnung gegenüber der männlichen Avancen.
Kodifizierung auf Französisch
Das ABC der Blumensprache stammt von der Französin Charlotte de Latour, deren 1819 veröffentlichtes Bändchen zum Verkaufsschlager wurde. Hier erfuhren Leser, dass die Heckenrose für Poesie steht, die Lilie für Licht und das Maiglöckchen für die Rückkehr des Glücks. De Latours vielschichtige Blumensprache orientierte sich auch am Entwicklungsstand der Blüten und deren Kombination. So bedeutete eine Rosenknospe mit Blättern und Dornen: „Ich fürchte, doch gleichzeitig hoffe ich auch.“ Gab man die Rosenknospe ohne Dornen zurück, gab man dem damit Beschenkten zu verstehen: „Du darfst dir alles erhoffen.“ Nachahmerwerke in Europa und den Vereinigten Staaten folgten, was zu einem veritablen Sprachenwirrwarr führte: Die Amerikaner etwa kannten viele botanische Klassifikationen nicht, während die Engländer allzu Anzügliches aussparten. Somit ist erwiesen: Auch die Sprache der Blumen kann nicht als universell gelten. Vielleicht sollten wir es doch mit Gertrude Stein halten und eine Rose eine Rose sein lassen?
Sie bekommen von Flora und Fauna einfach nicht genug? Blumige Gedichte, die sich lesen wie ein Frühlingserwachen, finden Sie in diesem Beitrag!
Schreibübung: „Sagen Sie es durch die Blume!“
Sie wollen Ihre Schreibfertigkeiten verbessern? Dann versuchen Sie sich an dieser spielerischen Schreibübung und ermitteln Sie schriftlich die Symbolik einer ganz besonderen Blume. Bevor Sie mit der Übung beginnen, lesen Sie zunächst folgenden Text aufmerksam durch:
„Kommissar Berger betrat mit gerunzelter Stirn das altehrwürdige Anwesen. Ungläubig sah er sich im Foyer um, welches von dekadenten Marmorstatuen bewohnt wurde. Scheinbar gab es echt noch Menschen, die heutzutage so lebten! Schwere Perserteppiche bedeckten den Flur, der nur spärlich von den goldenen Wandleuchten ausgeleuchtet wurde. Mühsam erklomm er die in dunklem Holz gehaltene Treppe. Die Gerichtsmedizinerin, Dr. Holinther, war bereits zugegen. „Na Rudi, du siehst auch nicht gerade begeistert aus, um diese Uhrzeit hier zu sein.“ Berger blickte auf seine Armbanduhr. „Ne, um 2 Uhr morgens kann ich mir wahrhaft Angenehmeres vorstellen!“ Er sah sich im Schlafzimmer des Mordopfers um. Antike Möbel, durchmischt mit großformatigen Fotoporträts ein und derselben Person, in verschiedenen Stadien ihres Lebens: Als junge Blondine, umzingelt von einer Männerschar, später im Abendkleid mit einer Trophäe in der Hand, dann wiederum mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß… Ein Bild reihte sich an das andere. Wessen frühzeitiges Ableben er hier heute untersuchen sollte, war ihm schon davor mitgeteilt worden: Emilie von Zeh, Filmstar, Ex-Gattin eines hochrangigen Diplomaten, die berühmteste Eremitin der Stadt. Mit selbstsicheren Schritten näherte er sich der Leiche. Die sich abzeichnenden Druckstellen um ihren Hals ließen wenig Zweifel an der Todesursache. Ihre vielbesungene Schönheit hatte sich die Diva bis zum Ende bewahrt, musste Berger zugestehen, dem herzlich wenig an der Schickeria und ihren Exzessen lag. In ein schlichtes Nachthemd gekleidet lag sie im Himmelbett. Beinahe fand sich Berger an eine Märchenszene erinnert. Untermauert wurde dieser Eindruck durch eine einzelne blaue Rose, die sich in der Hand der Ermordeten befand…“
Aufgabenstellung:
- Recherchieren Sie die Bedeutung von blauen Rosen im Internet.
- Schreiben Sie eine Szene, in der Kommissar Berger auf Diana Agnese trifft, eine Semantikprofessorin, die er zur Bedeutung der Blume befragt. Was kann sie ihm wohl mitteilen, das für seinen Fall von Interesse ist? Wir wünschen viel Vergnügen mit dieser Übung!
Sie sind längst über sich hinausgewachsen und halten bereits ein Manuskript in Händen? Dann lassen Sie uns Ihre Geschichte hier zu einer ersten unverbindlichen Prüfung zukommen!