Es bleibt in der Familie
Wird Talent vererbt? Die Geschichte zweier ungleicher Brüder
War es mehr als Zufall, dass Merkur als Gott der Eloquenz eine prominente Rolle im Wappen der Lübecker Kaufmannsfamilie Mann einnahm? Entstammten ihr doch zwei der wichtigsten Vertreter der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Den Anfang machte Heinrich Mann, der mit seinem Meisterwerk „Der Untertan“ gegen die Autoritätshörigkeit in der Weimarer Republik anschrieb. Sein Bruder Thomas, späterer Literaturnobelpreisträger, sah sich lange im Schatten Heinrichs stehen. Politische Unterschiede führten zu einer lebenslang anhaltenden Zerrüttung. Mit seinem Familienroman „Buddenbrooks“, in dem er schamlos Mitglieder aus seinem Umfeld literarisch verarbeitete, etablierte Thomas Mann sich als einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Generation. Ein Erbe, das sich ganz unterschiedlich auf seine literarisch begabten Kinder auswirkte.
Queere Pioniere
Die Erstgeborene Erika und ihr Bruder Klaus waren so untrennbar, dass sie sich stellenweise als Zwillinge ausgaben. Bereits in jungen Jahren entdeckten sie das Schreiben und Schauspielern für sich. Erika spielte in Klaus’ „Anja und Esther“, einem provokativen Stück, das die Liebe zweier Frauen zum Thema hatte. Mit „Der fromme Tanz“ bekannte Klaus sich offenherzig zu seiner Homosexualität. Er sollte sich Zeit seines Lebens als Außenseiter fühlen. Während er unter dem unterkühlten Vater litt, mauserte sich Erika zur „Tochter-Adjutantin“. Nachdem die Familie aufgrund des Nationalsozialismus ins Exil gezwungen wurde, übernahm Erika eine Art Assistentenrolle für ihren Vater – nebst ihrer eigenen Karriere als Vortragsreisende und Kriegsberichterstatterin.
Die Manns waren bedeutsame Vertreter der Exilliteratur zur Zeit des Nationalsozialismus. Klaus war es, der nach Kriegsende in Deutschland nicht mehr heimisch werden konnte. 1949 nahm er sich in Cannes das Leben. Erika wurde zur Nachlassverwalterin ihres Vaters und Bruders. Bei der Herausgabe deren Aufzeichnungen schreckte sie vor Streichungen nicht zurück, um die Verstorbenen ins rechte Licht zu rücken. Ihr ist es zu verdanken, dass Thomas Manns eigene homosexuelle Neigung erst spät bekannt wurde. Nicht unerwähnt bleiben sollte Golo Mann, der als Historiker mit seiner „Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ einen Millionenbestseller schrieb. Faszinierend auch Elisabeth Mann, die als Pionierin des Seerechts einen ganz anderen Weg als die restliche Familie einschlug.
Eine Klasse für sich
Während es sich bei den Manns um Kosmopoliten handelte, sind die Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë eng mit ihrer Heimat Haworth in der wilden Landschaft von Yorkshire verbunden. Patrick Brontë, der als Geistlicher wirkte, war viel an der Erziehung seiner Töchter gelegen – untypisch für die Mitte des 19. Jahrhunderts. Da sie – anders als die Manns – aus einfachen Verhältnissen stammten, mussten sich die Schwestern den Lebenserhalt als Gouvernanten sichern. Charlotte war die Einzige aus dem Dreiergespann, die heiratete. Wie Erika und Klaus Mann entdeckten die Brontës ihre Liebe fürs Fabulieren bereits in jungen Jahren. Im Laufe der Zeit änderten sich ihre Fantasiewelten und wurden, spätestens, als sie mit Lord Byron in Berührung kamen, um mysteriöse, unnahbare Männergestalten angereichert. Sozusagen als Prototyp für Heathcliff aus Emilys „Sturmhöhe“ und Mr. Rochester aus Charlottes „Jane Eyre“. 1847 erschienen die beiden bereits genannten Werke zusammen mit Annes „Agnes Grey“ unter männlichen Pseudonymen. Erst 1850, nach dem Tod von Emily und Anne, lüftete Charlotte das Geheimnis der tatsächlichen Urheberschaft.
Annes 1848 publiziertes Werk „Die Herrin von Wildfell Hall“ wird heute als einer der ersten feministischen Romane betrachtet. Da Charlotte nach Annes Tod verfügte, dass das Buch nicht in Neuauflage erscheinen sollte, verteufelte sie ihre Schwester dazu, über Jahre hinweg stiefmütterlich in der Rezeption behandelt zu werden.
Waren die Manns allesamt in die Literatur ihrer Zeit eingebettet, so waren die Brontë-Schwestern eine Klasse für sich, bildeten sie zu dritt doch eine eigene literarische Gruppe, die bis heute ihresgleichen sucht. Wird Talent vererbt, zählen am Ende die Gene oder doch die Sozialisation? Seit Charles Darwin herrscht eine Debatte darüber, ob genetische Veranlagung oder das soziale Umfeld eine größere Rolle in der Entwicklung eines Menschen spielen. Im Fall der beiden porträtierten Familien kann diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden, zweifelsohne trug beides zur literarischen Produktivität bei. Auffallend ist: Die Liebe zum Geschichtenerzählen wurde in beiden Literaturdynastien von Kindesbeinen an zelebriert.
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